Samstag, 6. Februar 2010

Randnotizen

Schon beruhigend, dass man es überall mit Menschen zu tun hat: Christian Füller, Kämpfer für Bildungsgerechtigkeit im Dauereinsatz für die sozial Benachteiligten, sieht in seinem Kommentar zu meinem letzten Beitrag die Äußerung, dass Bildung für 15 Prozent der Bevölkerung objektiv wertlos sei (Martenstein), nicht mit der Aufklärung vereinbar. Wahrscheinlich, weil Christian Füller hier eine ganze Bevölkerungsgruppe pauschal abgeurteilt sieht (und weil er den Satz bewusst missversteht im Sinne von: 15 Prozent sind es nicht wert, Bildung zu bekommen, was aber etwas anderes bedeutet.) Es freut mich allerdings, dass der Hüter der Aufklärung sich sehr menschlich zeigt, da er unmittelbar darauf das anstehende Dienstende von knapp 500.000 Lehrern bis 2020 als Befreiung für das Bildungssystem deutet. Schönes Beispiel für eine differenzierte Sicht auf die Dinge. Auch in den Tweets gehts ähnlich aufgeklärt zu:


Nix für ungut, Ciffi, der Tweet ist schon witzig - wenn man nicht weiß, dass er ernst gemeint ist.

Gestern habe ich ein schlechtes Gewissen bekommen, dass ich so ein fauler Sack bin und nicht beim #ec10hh dabei bin. Damit ich mir noch beim Zähneputzen gegenübertreten kann, hab ich mir allerdings die Aufzeichnung desLive-Streams Diskussionsrunde “Das Internet – ein Bildungsraum?” zu Gemüthe geführt. Ja, der Sprachstil muss jetzt ins Gehobene wechseln, denn es war eine Menge Web2.0-Poesie zu vernöhmen, Lisa Rosa auch in bester Form.
Um es vorwegzunehmen: es war eine Menge Geschwurbel zu hören und der Erkenntnisgewinn für mich persönlich hielt sich arg in Grenzen. Aber, doch, es gibt Erkenntnisse:

An meiner Schule bin ich durchaus die "Lisa Rosa", sprich ich setze mich schon recht lange für die Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten des Zwischennetzes ein: sowohl im Unterricht als auch in der Kommunikation der Lehrer untereinander und versuche an entsprechenden Stellen auch Überzeugungsarbeit zu leisten, denn, ja, die Vorbehalte bei den Kollegen sind groß, die Bereitschaft, Zeit für unbekanntes Gebiet zu investieren gering - und nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Zeit an sich fehlt, die Belastung ist hoch.
Aber wenn ich Lisa Rosa höre, lerne ich, wie man nicht für eine Sache werben sollte, nämlich an den Bedürfnissen seiner Zielgruppe vorbei (nun ist LisaRosas Zielgruppe eine andere als meine, das ist klar, ihre Zielgruppe ist nicht der Lehrer) Es liegt in der Natur der Sache, dass man, wenn man sich intensiv mit einem Thema beschäftigt, die Bodenhaftung zu verlieren droht. Ich kenne das auch von mir. Und wenn Lisa Rosa das Internet als Leitmedium bezeichnet, in dem heute die relevante Kommunikation stattfindet, ist das m.E. ein Beispiel für verzerrte Wahrnehmung. Mir fällt beispielsweise auf, wie klein das deutschsprachige Internet im Bildungsbereich ist - gemessen an den gigantischen Nutzerzahlen ist es erstaunlich, wie dörflich dieser Bildungsraum ist: man trifft immer die gleichen Lehrkörper an den einschlägigen Plätzen. Es ist (noch?) überschaubar.
Ich lerne durch Lisa Rosa auch, meine eigenen Positionen zu hinterfragen. Es erzeugt Widerspruch und erhöht die Skepsis gegenüber der Web2.0 Euphorie gewaltig. Warum? Weil hier absolut formuliert wird, dass Bildung in Zukunft zwingend an diese Technologie gebunden sein wird. Aso: Lernen mit Netz = gut und ohne Netz = schlecht. Oder zumindst ohne Netz = immer schlecht. Das halte ich, im besten Neudeutsch formuliert, für Bullshit.
In der Diskussion wird unter anderem zu Recht an einer Stelle festgestellt, dass (technische) Entwicklungen zuletzt in der Schule ankommen. Es ist also durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Nutzung von Web3.0 in der Schule ankommt, wenn scho klar ist, dass sich hier die größte Sackgasse für Bildung aufgetan hat.

Übrigens auch sehr feine Web2.0-Poesie in dieser Gesprächsrunde: Nachzertifizierung - Dörte Giebel überlegt, wie man das zusätzliche Lernen der Schüler in den Griff bekommt. (etwa ab 01:12, wenns jemanden interessiert)
Mehrfach taucht auch der Gedanke auf, dass Schule Schule Angst davor hat, nicht mehr kontrollieren zu können, was die Schüler lernen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie man überhaupt auf so einen Gedanken kommt, verstehe ihn nicht, hat nichts mit meiner schulischen Erfahrungswelt zu tun.
Auch der Gedanke des iPhones als Sprengstoff im Klassenzimmer - tschuldigung wenn ich jetzt ein wenig dem Gedankensprunge fröne, aber sollen ja heute nur Randnotizen sein.
Also Sprengsatz iPhone. Verstehe ich nicht. Mal davon abgesehen, dass es das Letzte ist, auf einem derart unergonomischen Gerät längere Zeit arbeiten zu müssen - wo ist da die Sprengkraft? Es wird im übrigen in der Gesprächsrunde auch nicht weiter ausgeführt.
Auch schön - die "digitale Ungleichheit"(etwa 01:00) - was füher die "Wissenskluft" war.
Wenn ich das höre, vermute ich eher, dass die wahre Kluft in einiger Zeit zwischen den "digitalen Deppen" und "Holz-Lesern" bestehen wird.
Denn was mir auch schon lange aufstößt - es wird so getan, als sei der Zugang zu Wissen vor dem Internet geradezu unmöglich gewesen.

Nur son Gedanke am Schluss: Medienkompetenz könnte vielleicht auch sehr bald heißen, dem Ausschließlichkeitsanspruch der Maustätigkeit etwas entgegen zu setzen, im Sinne von Medienvielfalt. Denn wenn man Schüler heutzutage darauf hinweist, dass die Benutzung einer Bibliothek auch ein Mittel der Informationsbeschaffung sein könnte, wird man schon schräg angeschaut (und ich rede jetzt von der gut ausgestatteten Schulbibliothek, die man in der Pause aufsuchen kann). Und müssen Schüler, die schon stundenlang WoW zocken noch in der Schule oder bei Hausaufgaben vor der Kiste hocken? Die Medienpädagogen wollen die Kinder an die Kiste haben, die Kinderpsychologen wissen nicht, wie sie selbige wieder davon weg bekommen.

Ich danke @LisaRosa (und entschuldige mich, dass sie dafür herhalten muss, aber sie vertritt eben eine bestimmte Position, aber natürlich nicht nur sie alleine. Für mich ist Lisa Rosa sozusagen das iPhone, eine Metapher eben) also ich danke Lisa Rosa dafür, dass Sie bei mir für "Erdung" sorgt, dafür sorgt, einen kritischen Blick auf das Internet in der Bildung zu werfen.
Ich danke Ciffi, der ebenso zu Widerspruch provoziert. Ich möchte nicht seine Schulreform, aber wie er eine bessere Schule. In der Reibung wird vieles klarer.
Gute Nacht.

1 Kommentar:

  1. Danke für deine Randnotizen - und Verwunderung darüber, dass hier noch kein Kommentar steht.

    Meine Randrandnotizen:

    - "Internet als Leitmedium": Da würde ich ergänzen "... der nächsten Jahrzehnte". Im Moment ist das für die breite Allgemeinheit nicht das dominante Medium.

    - "iPhone im Klassenzimmer": Das würde IMO kein Problem lösen. Im Gegenteil - ich hätte zunächst das Problem, dass meine Schüler keine iPhones besitzen (und ich auch nicht).

    Zu anderen Aspekten hab ich schon in JPMs Blog Stellung genommen, hier und dort.

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