Sonntag, 14. Februar 2010

Randbemerkung zur Pisa-Poesie

Zu meinem Blogpost über den Bericht einer Honorarkraft an einer Berliner Schule twittert der Pisaversteher :

ciffi Blog http://bit.ly/a65fva /via @detlefteich // @ciffi liest Blog so: lasst die Schulen um Himmels willen so wie sie sind! No, we can not!

Interessant ist, dass aus meiner Kritik an der Schulstrukturreform, wie sie gerade in Berlin stattfindet, gleich gemacht wird, ich wolle Schule so lassen, wie sie ist. DIESE Schlussfolgerung kann ich nicht verstehen, da ich an keiner Stelle des Beitrags - und auch nicht an anderer Stelle - behauptet habe, dass kein Veränderungsbedarf in der Schullandschaft bestehe. Denn dass Schule größten Veränderungsbedarf hat, sehe ich sehr wohl.

Aber ich bin der Meinung, dass Schulstruktur überbewertet wird.
Das findet Sabine Czerny nicht so:

sabineczerny @detlefteich "Schulstruktur wird überbewertet" - das sagt ihr, weil ihr nicht wisst, was in den untersten Klassen los ist
denn:
sabineczerny @detlefteich wenn 27 Kinder um wenige Plätze auf weiterführenden Schulen kämpfen müssen, wird gekämpft und nicht freud- und sinnvoll gelernt

Ich kann jetzt nur von Berlin sprechen (und eben dort wird eine Schulstrukturreform vollzogen): Ich habe nicht das Gefühl, dass in dieser Stadt um "wenige" Plätze an weiterführenden Schulen (sind Gymnasien gemeint??) gekämpft werden muss. Es ist mir auch nicht bekannt, dass Schüler, die ein Gymnasium besuchen wollen, keinen Zugang zu dieser Schulform erhalten. Selbst Schüler mit Hauptschulempfehlung konnten bisher nach der Grundschule auf das Gymnasium wechseln. Der Elternwunsch stand an erster Stelle, die Grundschulempfehlung war eben nur eine Empfehlung. Es ist daher in dieser Situation völliger Unsinn, davon zu reden, dass hier ein "Kampf" um einen Schulplatz stattfindet. Kann sein, dass dies in anderen Bundesländern anders ist.
Ja - es ist so, dass es Gymnasien gibt, die einen besseren Ruf haben, als andere. Hier beginnt durchaus ein Kampf darum, einen Platz zu ergattern. Hat aber nichts mit Struktur zu tun. Offensichtlich gibt es wohl "gute" und "schlechte" Schulen des gleichen Schultyps. Das wird sich auch nicht ändern, wenn es nur Sekundarschulen gäbe.

Warum ich kein Freund der Schulstrukturreform bin?
Die Änderung der Struktur ändert nicht die Menschen innerhalb des Systems. Daher halte ich die Behauptung, Änderung der Struktur führe zu einer besseren Schule für verlogen - oder naiv.
Die Schulstrukturänderung wird innerhalb der Schulen in den nächsten Jahren Ressourcen der Lehrer "fressen", die besser in Verbesserung der Unterrichtsqualität investiert wären.
Warum sind denn die bisherigen Gesamtschulen de facto nicht die Vorzeigeschulen?
Die linke Schulpolitik hätte ja in Berlin am liebsten das Gymnasium ganz abgeschafft und durch die Sekundarschule ersetzt. Das würde allerdings bedeuten, dass eine Schulform, die bei aller berechtigten Kritik an überkommenen Lehrmethoden etc. ihren Auftrag noch am besten erfüllt, abgeschafft und durch einen Versuch mit unklarem Ausgang ersetzt wird. Warum gab und gibt es denn keinen Run auf die bisherigen Gesamtschulen? Nur weil es das Gymnasium "gibt"? Warum konnte dieses Modell nicht attraktiver werden als das Gymnasium? Ich erkenne in der Sekundarschule grundsätzlich keine andere "Idee" als das Gesamtschulmodell. Und die Gesamtschullehrer sind in den 70er und 80er Jahren durchaus überzeugt und entsprechend engagiert an die Umsetzung der Idee des gemeinsamen Lernens gegangen. Warum ist dies gescheitert? Natürlich, es gibt (auch in Berlin) Gesamtschulen mit einem sehr guten Ruf (die also offensichtlich funktionieren), die weit höhere Anmeldezahlen haben, als sie Schüler aufnehmen können. Aber hat dies etwas mit der Schulform zu tun - nein.

Die Rahmenbedingungen von Schule haben sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert: Wochenarbeitszeit der Lehrer, Klassengrößen, Personalausstattung etc. Allein die Gebäude nicht weniger Schulen sind die Visitenkarte für den Stellenwert, der Bildung zugemessen wird.
Man kann zumindest sagen, dass der Bildungsbereich nicht unbedingt vom Füllhorn des Finazministers bedacht wird. Ja - Geld ist nicht alles und löst alleine auch keine Problem, aber ohne geht es eben auch nicht. Die Schulpolitik möchte aber möglichst kostenneutrale Lösungen: und die Veränderung der Schulstruktur ist sicher vergleichsweise "billig" zu haben. Beispielsweise sind dann große Schulen (6 bis 8zügig) der Normalfall: in einer kleinen Schule, die vielleicht nur zwei oder dreizügig läuft, kann man natürlich nicht so viele tolle vielfältige Angebote machen (so die offizielle Begründung). Daher wird es in Berlin u.a. zu nicht wenigen Schulfusionen kommen. Wer allerdings schon einmal an einer kleinen Schule gearbeitet hat (egal welchen Schultyps), wird die Vorzüge zu schätzen wissen. Gerade auch für die "Problemschüler". Aber kleine Schulen sind natürlich teurer als große.

Schulstruktur wird überbewertet.
Was eine "gute" Schule ausmacht, hängt nicht zwingend mit ihrer Organisationsform zusammen - auch nicht das ganze System betreffend.
Entscheidend ist der "Geist", der dahintersteht. Diesen zu ändern ist eine große Aufgabe. Und ich vermutet auch, dass für den Pisaversteher ein neuer Geist von Schule mit einer anderen Schulstuktur untrennbar verbunden ist. Aber dass sich "Geist" durch Strukturänderung beeinflussen lässt, halte ich für Pisa-Poesie.

5 Kommentare:

  1. Doch. Schulstruktur ändert den Menschen, der in ihr arbeitet, bzw. verlangt jeweils etwas anderes von ihm ab. Ein System der Auslese und des Sortierens verlangt einen defizitorientierten Blick, ja gar ein Unterschiede deutlich machendes Handeln. Mit all seinen fatalen Konsequenzen. Ein System, in dem keiner ausselektiert werden kann, bedingt, das Kind so anzunehmen wie es ist und verlangt für jedes Kind individuelle Lösungen zu finden. Ein guter Geist findet in ersterem gar keinen Raum... Dass man sich in zweiterem dennoch darum bemühen muss und er nicht von alleine einzieht - keine Frage.

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  2. Der Sinn der Worte erschließt sich mir nicht.
    Konkret: Ich arbeite an einer Gesamtschule. Was ändert sich in diesem konkreten Umfeld durch die konkrete Schulstrukturreform für mich? Eher nichts. Denn innerhalb dieser Schulform wurde und wird natürlich auch weiter fein sortiert, auch wenn es dann Sekundarschule heißt.
    Wenn es nur noch Sekundarschulen gäbe? Dann wird innerhalb dieser Schulen natürlich auch sortiert. Was hat denn das mit der Schulfom zu tun?
    In der DDR gab es die Einheitsschule? Welcher Geist hat da geherrscht? Ein schönes Beispiel, wie ich finde, was (äußere) Schulstruktur mit dem päd. Geist zu tun hat, der innerhalb dieser Struktur gepflegt wird - nichts (oder sehr wenig).

    Schöne Worte, Frau Czerny.

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  3. Das genau ist der Unterschied zwischen "Einer Schule für alle" und einer Gesamtschule, die ja auch nichts wesentlich anderes ist als die Dreigliedrigkeit unter einem Dach. Mit der Einheitsschule der DDR würde ich "Eine-Schule-für alle" ebenfalls nicht vergleichen.

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  4. Den Vergleich habe ich auch nur gezogen, weil er deutlich macht, dass Schulstruktur nicht viel aussagt. Und wenn Sie den Begriff "Eine Schule für alle" verwenden, dann ist dies in erster Linie eine Idee und keine Strukturfrage. Und diese Idee ist noch nicht einmal an die Struktur gebunden. Denn wenn diese HALTUNG, die Sie damit verbinden, Alltag wäre, dann wäre auch ein gegliedertes Schulsystem kein Problem - denn mit der Haltung, jeden Schüler optimal zu fördern, könnte ich sehr wohl auch innerhalb eines gegliederten Schulsystems umsetzen.

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  5. Vielen Dank, dete, für den hervorragenden Beitrag! Genau meine Meinung!

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